Am 19. August 2007 passierte ich zufällig ein Stück meines
früheren Schulweges in Stolberg
dem ich – wie so oft in jungen Jahren - bis zum Bahnübergang Eisenbahnstraße
folgte.
Der Bahnübergang Eisenbahnstraße ist heute mit einer Lichtzeichenanlage und Halbschranken gesichert.
Entlang der Eisenbahnstraße gibt es zwischen den Bahnübergängen Eisenbahnstraße und Nikolausstraße einen schmiedeeisernen Zaun, der die Bahnstrecke Stolberg (Rheinland) Hbf - Walheim - Raeren (SNCB) von der Straße trennt. Dem aufmerksamen Beobachter wird nahe dem Bahnübergang Eisenbahnstraße ein kleines, scheinbar nutzloses Törchen in diesem Zaun auffallen. Es ist das letzte Überbleibsel des Schrankenwärterpostens 5, um den es in diesem Beitrag geht.
In meinen Jugendjahren war das noch anders. Stellen wir die Zeitmaschine auf
die 70er Jahre, da sah der Schulweg so aus:
Dies war am 4. Dezember 1975 der Blick von der Treppe auf den Bahnübergang
Eisenbahnstraße, den gerade eine Dampflok der BR 50 passiert:
und vor der Schranke stehend bot sich dieser Blick....
(hier am 26. Januar 1979 mit 290 307):
Der Schrankenwärter hatte hier vom Posten 5 aus vier Schranken zur Sicherung
des Bahnübergangs Eisenbahnstraße und zwei Schranken am Bahnübergang Nikolausstraße
zu bedienen.
Das Bild vom 22. September 1978 zeigt 290 348, mit einem Güterzug vom Bf. Stolberg– Hammer kommend.
Der Bahnübergang Eisenbahnstraße mit dem Posten 5 war seit Mitte der 1960er
Jahre für viele Jahre lang ein Teil meines täglichen Schulweges, und auch zum
Einkaufen in der Stadtmitte ging es stets hier vorbei. Zusammengerechnet habe
ich hier sicherlich einige Stunden meines Lebens vor der geschlossenen Schranke
verbracht. Einerseits war es immer toll, die Züge vorbeifahren zu sehen,
andererseits konnte es ganz schön lästig sein, wenn ich auf dem Weg zur Schule
ohnehin schon spät dran war. Ohne den Posten 5 kann ich mir diesen Weg aber
kaum vorstellen.
Dicht an dieser Schranke zu stehen, hatte bei mir bereits in frühen
Kinderjahren einen besonderen Reiz ausgelöst. Es war immer ein kleines
Abenteuer, nur durch die Schranke und den wackeligen Behang getrennt die
Dampfzüge aus nächster Nähe zu erleben. Wie sie heranschnauften, immer lauter
wurden, unausweichlich auf mich zu donnerten und mich dann am Höhepunkt bei
bebender Erde mit ihren nach Kohle, Öl und Vanille riechenden Dampfschwaden
einhüllten.
Wenn wir Schulkinder uns vor der geschlossenen Schranke wegen der allzu
langen Wartezeit ärgerten, revanchierten wir uns bei dem vermeintlichen
Verursacher, indem wir uns als Rudel an die Schranke drängten und einige Kinder
sich dann gleichzeitig in den Behang stellten. Da konnte der arme
Schrankenwärter fuchsteufelswild werden, wenn er seine Schranke nicht mehr
hochdrehen konnte.....
Einige Jahre später, mit wachsendem Interesse an der Eisenbahn, sah ich den
Schrankenwärter mit anderen Augen. In den frühen 70er Jahren - ohne Internet
und ohne Gelegenheit zum Kauf von informativen Eisenbahnzeitschriften in meiner
heimatlichen Provinzstadt - war der Posten 5 eine Informationsquelle. Wie ich
beobachtete, hatte dort fast immer der gleiche Schrankenwärter Dienst. Er kannte
den Betrieb auf der Strecke genau - und er hatte einen Basa-Anschluss, mit dem
er den Fahrdienstleiter des Stolberger Hbf ansprechen konnte! Wie sich zeigte,
unterstützte er mich gerne - und so besuchte ich ihn häufiger. Natürlich war
sein Posten 5 auch als Fotostandpunkt gut geeignet, wie meine nachfolgenden
Bilder vom 24. Mai 1974 zeigen:
Vorbeifahrt der 052 692 mit einem Güterzug von Stolberg Hbf nach
Stolberg-Hammer
051 302 kehrt von Stolberg-Hammer nach Stolberg Hbf zurück
Als ich am 29. März 1976 den Posten 5 aufsuchte, wollte ich Informationen
zum Ablauf des bevorstehenden Stolberger Dampflokabschiedsfestes gewinnen.
Nachdem ich zunächst noch einem Güterzug nach Stolberg-Hammer - jetzt schon
verdieselt und mit 290 173 bespannt - aufgenommen hatte
...packte der Schrankenwärter diese Fplo aus:
Potzblitz, da hatte der Mann das komplette "Drehbuch" der
Veranstaltung in der Schublade! Meine Versuche, ihm diesen Schatz rechtzeitig
vor dem Dampflokabschiedsfest abzuknöpfen, waren natürlich zum Scheitern
verurteilt, weil er das Heft für seinen Dienst selbst benötigte. Aber er hat es
für mich aufgehoben und mir wenige Tage später geschenkt!
Allerdings konnte der Schrankenwärter meine Begeisterung für die
bevorstehende Veranstaltung nicht so recht teilen. Denn bei den Vorbereitungen
zum Dampflokabschiedsfest hatte der Schrankenwärter unerwartet ganz besonderen
Stress bekommen. Auf der Strecke von Stolberg nach Walheim sollten nämlich am
4. April 1976 zwei Sonderzugpaare nach Raeren verkehren, mit denen der
Präsident der Bundesbahndirektion Köln eine Delegation der belgischen
Staatsbahn vormittags abholte und am späten Nachmittag wieder zurückbegleitete.
Und weil alles schön aussehen sollte, wenn der Präsident kommt, hatte man
beschlossen, dass die Bahnschranken einen neuen Anstrich erhalten sollten. Da
alles bei laufendem Betrieb und unter Zeitdruck stattfinden musste, wurden die
Bahnschranken zum Anstreichen nicht etwa ausgebaut, sondern kurzerhand
heruntergelassen. Das ging allerdings nur paarweise. Nun ist die Eisenbahnstraße
aber eine Hauptverkehrsstraße von Stolberg, auf der außerhalb des
Berufsverkehrs immer noch lebhafter Verkehr herrscht. Also konnte immer nur in
kurzen Intervallen gepinselt werden, und dann musste die Schranke wieder
geöffnet werden, um den Verkehrsstau aufzulösen. Man kann sich ausmalen, wie
oft der arme Mann bei dieser Aktion kurbeln musste....
Sein Zusatzdienst wegen der Sonderzugfahrten wurde mit diesem Fernschreiben
angeordnet:
Ähnliche Fernschreiben gab es auch für Militärzüge oder Züge mit
Lademaßüberschreitungen, die auf dieser Strecke bis 1991 häufiger verkehrten.
Da es auf seinem Schrankenwärterposten natürlich keinen eigenen Fernschreiber
gab, wurden diese Schriftstücke von Mitarbeitern der Bahnmeisterei bzw. des
Stolberger Hauptbahnhofes vorbeigebracht und ausgehändigt.
Beim Dampflokabschiedsfest habe ich am 4. April 1976 selbstverständlich den
Posten 5 für den von 053 031 bespannten Präsidentenzug als Motiv verwendet -
das musste aus gewachsener Verbundenheit sein, auch wenn es stark regnete. Hier
zunächst der entsprechende Auszug aus der Fplo
und dazu die Vorbeifahrt des Zuges Dsts 25472am Posten 5.
Die Rückfahrt erfolgte als Dsts 25473
Die abendliche Rückfahrt hatte allerdings Verspätung und fand bei völliger
Dunkelheit statt. Aber wenn drei Jungfotografen ihre Fototechnik
zusammenballen, ist auch das kein Hindernis. Hier rollt 053 031 mit dem Dsts
25473, dem letzten Dampfloksonderzug des
Dampflokabschiedsfestes, am Posten 5 vorbei zum heimischen Stolberger
Hauptbahnhof:
Auch ohne Dampflokbetrieb konnte der Posten 5 heile Eisenbahnwelt
vermitteln. So etwa, wenn der Schrankenwärter jeden Montag mit einem
Schmierfetteimer und einem langen Pinsel bewaffnet die beweglichen Teile und
die Seilzüge der Schranken pflegte oder dienstags seine Sh2-Tafeln reinigte, um
sie anschließend an der bahnseitigen Wand seines Postenhäuschens akkurat
ausgerichtet aufzustellen.
Natürlich hatte der Schrankenwärter zwischendurch auch immer freie Zeit, die
er gerne zum Lesen nutzte. Wer von der Eisenbahnstraße zum Posten 5
hochblickte, sah ihn dann regungslos an seinem Tisch sitzen. Manche
vorbeikommenden Jugendlichen machten sich einen Spaß daraus, im Vorbeigehen den
Klöppel der Schrankenglocke mit der Hand zu spannen und anschlagen zu lassen.
Der Schrankenwärter schreckte dadurch jedes Mal wie elektrisiert auf..... All
sein Schimpfen und Drohen mit erhobenem Zeigefinger nutzte nichts, diese
Unsitte war nicht auszurotten.
Der Posten 5 blieb für mich weiterhin ein gern genutztes Fotomotiv. Am 29.
März 1978 fotografierte ich beispielsweise 290 330, die um die Mittagszeit eine
Güterfuhre zum Stolberger Hauptbahnhof transportiert.
Bei meinen Besuchen gab der Schrankenwärter mir häufig Gelegenheit, in
seinen Unterlagen zum "Selbstunterricht" zu lesen und daraus so
manches über die Eisenbahn zu lernen. Nicht im Unterrichtsmaterial standen die
verschiedenen Kommunikationstechniken - wenn der Chef anrückte, gab es eine
besondere Art, die Klingel am Streckentelefon zu bedienen oder eine besondere
Wortwahl, mit der man sich bei Anrufen meldete......
Und ich denke, der Schrankenwärter hatte sich über etwas Gesellschaft stets
gefreut, besonders wenn er beim Verkehren von Militärtransporten oft vom frühen
Morgen bis spät am Abend "auf dem Posten" war.
290 173 mit Militärtransport nach Raeren am 22. September 1978
215 029 vor einem Militärzug nach Raeren am Nachmittag des 22. September
1978
211 088 am 12. Juli 1981 mit zwei Rheingoldwaggons als Sonderzug nach Walheim
Das Ende des Postens 5 glich einem Schildbürgerstreich. Denn der Posten 5
selbst wurde zwar durch eine Lichtzeichenanlage mit Halbschranken am
Bahnübergang Eisenbahnstraße ersetzt und anschließend am 24. September 1982
außer Betrieb genommen. Aber wegen der problematischen Verkehrssituation am
Bahnübergang Nikolausstraße mit einer Straßeneinmündung und einer Werkseinfahrt
errichtete man dort, also gerade einmal 100 m vom Posten 5 entfernt, einen
neuen Behelfs-Schrankenwärterposten!
Hier passiert 215 017 am 27. September 1984 mit einem Militärzug den neu
errichteten Posten 4 am Bahnübergang Nikolausstraße.
Später ist der Behelfs-Posten 4 zwar auch durch eine Ampelanlage und
Halbschranken ersetzt worden. Aus Sicherheitsgründen dürfen Züge diesen Bereich
heute aber nur in Schleichfahrt passieren.
Dieses Foto aus dem Winter 1984 ist mein erstes Foto ohne den Posten 5
.........
Roland Keller